Radikalisierung im Rahmen der Klimaproteste
Anlässlich der zunehmenden Radikalisierung rund um das Thema des Klimawandels und der Vielzahl an Hasspostings, die über die BanHate-App diesbezüglich gemeldet werden, erlaubt sich die Extremismuspräventionsstelle Steiermark „next - no to extremism" folgende Stellungnahme abzugeben:
Klimakrise
Der menschengemachter Klimawandel schreitet voran, Maßnahmen und Lösungsansätze lassen auf sich warten¹, was Klimaaktivist:innen nicht mehr unkommentiert hinnehmen wollen. Die Protestaktionen, die mit der Fridays For Future-Bewegung Bekanntheit erlangten und deren Aktionen von der abgespaltenen Extinction Rebellion und nun der Letzten Generation zunehmend provokanter wurden, werden nun seit Monaten auch in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert. Der zivile Ungehorsam hat auch die Steiermark und Graz erreicht, wo beispielsweise Aktivist:innen am Geidorfplatz von Wissenschaftler:innen begleitet wurden, um Maßnahmen für Umweltschutz zu fordern.²
BuchTIPP: Peter R. Neumann führt in seinem Buch „Die neue Weltunordnung" in einem eigenen Kapitel zum Klima-Notstand das bisherige Scheitern eines effektiven Gegensteuerns gegen den Klimawandel auf das vom Wachstum abhängige Wirtschaftssystem, die von Wahlperioden bestimmten demokratischen Systeme zurück. Außerdem ist die globale Bedeutung des Klimawandels untrennbar mit internationalen diplomatischen Differenzen verbunden.³ Peter R. Neumann gibt einen Überblick über Lösungsstrategien und einen Ausblick auf aktuelles und zukünftiges Radikalisierungspotential sowie extremistische Bedrohungen.
Online Hass
Neben nachvollziehbaren Reaktionen von entnervt im Stau stehenden und durch die Aktionen von Klimakativist:innen direkt betroffenen Personen kursieren im Internet und vor allem in den sozialen Medien erschreckend viele Gewaltaufrufe, Aufstachelungen zu Hass und menschenunwürdige Beschimpfungen, die die Grenze der Meinungsäußerungsfreiheit um Längen überschreiten und die Aggressivität der Gegenseite sichtbar machen. Die Aktionen der Klimaaktivist:innen polarisieren und die an den Straßen festgeklebten Protestierenden sorgen für einen Hagel an Kritik und Unmut. Über die BanHate-App erreichten die Extremismuspräventionsstelle Steiermark „next - no to extremism" allerdings Meldungen von abscheulichen Kommentaren, die in den sozialen Medien unter der Berichterstattung von Klimaaktivist:innen gepostet werden. Derart hämische Belustigungen über das vorsätzliche Verletzen von Menschen oder gar die Inkaufnahme ihres Todes gibt einen Einblick in die Abgründe der ungeheuerlichen brutalen und gewaltbereiten Phantasien, die in den sozialen Netzwerken unkommentiert und unsanktioniert kursieren.
Darunter reihenweise gewaltvolle Verhaltensvorschläge, wonach das Überfahren von an der Straße festgeklebten Aktivist:innen (Posting1) in abstoßender Weise angeregt diskutiert wird.
Oder einer Straßenfräse URAL 375D mit der Textierung „Löst sanft bis zu 60 Klimaaktivist*innen je Minute von der Straße ..." finden sich reihenweise in den Kommentarspalten. (Posting 2)
Die emotionale Schiene wird beispielsweise mit einem Meme, in dem der sichtlich erleichterte Schauspieler Robert Downey Jr zu sehen ist, bedient, wobei als vermeintliche Erklärung „Wenn Du dachtest, Du hast einen Hund überfahren... aber es war nur ein angeklebter Klimaaktivist" beigefügt ist und damit eine eindeutige Entwertung der menschlichen Unversehrtheit und des menschlichen Lebens stattfindet (Posting 3).
Einen äußerst erniedrigenden und menschenunwürdiger Verhaltensvorschlag wird in Form einer Zeichnung einer vermeintlichen neuen Verkehrszeichnung geteilt, das dazu auffordert, auf an der Straße festgeklebte Aktivist:innen zu urinieren. Dieser menschenunwürdige Vergleich wird in den sozialen Netzwerken massenhaft geteilt und gepostet. (Posting 4)
Neben Aufrufen zur Selbstjustiz und zur Körperverletzung wird von Laien auch gerne die Einstufung als „Klimaterrorist:innen⁴" vorgenommen und Beiträge wie, „Ich würde die Klimaterroristen, und nichts anderes sind sie, einfach von der Straße reißen. Scheiß drauf ob die sich mit ihren Händen auf die Straße kleben. Runterreißen und fertig." (Posting 5).
Die aggressive Aufladung des Themas und die Vielzahl an Hasskommentaren ist nicht nur für unbedarfte Mitlesende erschreckend. Eine derartige Flut an Gewaltaufrufen und Gewaltphantasien, menschenunwürdigen Beschimpfungen und Abwertungen und die Forderungen nach Selbstjustiz scheinen eine eigene Dynamik und eine kollektive Online-Bestärkung zur Verschiebung der in einer Demokratie erduldbaren Grenzen an tolerierbaren Verhaltensvorschlägen zu entwickeln. Die Gefahr scheint gegeben, dass sich auch direkt von den Aktivist:innen durch ihre Straßensperren und ihren zivilen Ungehorsam Betroffene von den Kommentaren in den sozialen Netzwerken den Rücken gestärkt fühlen. In Wien kam es bereits zu ersten Einschreitungen von Zivilpersonen gegen Klimaaktivist:innen, wo zwei Autolenker:innen versuchten Aktivist:innen von den Straßen zu zerren.⁵
Aufgrund ihrer Weltanschauung geschützt oder kriminelle Vereinigung?
Im österreichischen Strafrecht werden Aufrufe zu Gewalt, Aufstachelung zu Hass und menschenunwürdige Beleidigungen und Beschimpfungen durch den Straftatbestand der Verhetzung (§ 283 StGB⁶) sanktioniert, sofern sich diese Taten und Äußerungen gegen eine explizit im Gesetz genannte Gruppe richten. Die Merkmale dieser Gruppen können sein: die ethnische Zugehörigkeit, das Alter, das Geschlecht, die (Nicht-)Staatszugehörigkeit, die Hautfarbe, die Sprache, die sexuelle Ausrichtung, körperliche oder geistige Behinderungen, aber auch die Religion und die Weltanschauung. Im Sinne des Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)⁷ ist unter dem Begriff der Weltanschauung eine „zusammenhängende Sichtweise grundsätzlicher Lebensfragen" zu verstehen, die ein gewisses Maß an Stichhaltigkeit, Ernsthaftigkeit, Schlüssigkeit und Bedeutung aufweisen muss.⁸
Beispielsweise sieht der EGMR⁹ den Pazifismus als Weltanschauung¹⁰ an. Unter dem Begriff fallen aber auch ausgeprägte linke oder rechte Weltansichten¹¹. Die Grenze des Schutzbereiches zieht Salimi¹² bei strafrechtswidrigen Einstellungen und Aktivitäten, wo er als Beispiel die Aufstachelung zu Hass gegen Nazis nennt, die seiner Ansicht nach aufgrund der Verbotsgesetzwidrigkeit nicht unter die aufgrund der Weltanschauung vor Verhetzung geschützte Gruppe fällt. Ähnlich sieht er dies für Staatsverweiger:innen verwirklicht, die aufgrund ihrer strafrechtlich relevanten Zugehörigkeit zu einer staatsfeindlichen Bewegung (§ 247a StGB) ebenso wenig vom Schutzbereich des Verhetzungstatbestandes erfasst werden.
Laut Extremismusforscher und Terrorismusexperten Peter R. Neumann ist die Bewegung der Letzten Generation als Ideologie und radikalere Abspaltung von Extinction Rebellion einzustufen, die auch Radikalisierungspotential birgt. Bisher gab es keine Gewaltanwendungen, dennoch seien ihre Anliegen extrem, da sie diese über das geltende Rechtssystem und über demokratische Prozesse stellen.¹³ Der next-Linksextremismusexperte Heinz P. Wassermann warnt davor, dass Klimaaktivist:innen von einem apokalyptischen Denken und Weltbild geprägt sind, das durchaus problematische Ausmaße annehmen könnte.
Eine kriminelle Vereinigung (§ 278 StGB) ist ein Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die darauf ausgerichtet ist, Verbrechen, Gewalttaten oder nicht unerhebliche Sachbeschädigungen zu begehen. Nach Einschätzung von Robert Kert, Professor für Strafrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien, ist beispielsweise das Überschütten von Gemälden, wenn eine Reinigung einfach möglich ist, keine Vorgehensweise, die diesen Straftatbestand erfüllen könnte. Wobei es sich aber durchaus um versuchte Sachbeschädigung (§§ 15, 125 StGB) handeln kann. Eine Straßenblockade stellt eine Verwaltungsübertretung dar, die strafrechtlich relevant werden könnte, sobald beispielsweise einem Rettungswagen die Zufahrt versperrt werde. Stefan Traxler, Rechtsanwalt und Verteidiger von Angeklagten in einem Tierschützer:innenprozess, kann sich die Einstufung der Letzten Generation als kriminelle Vereinigung durch die Staatsanwaltschaften durchaus vorstellen, da die entsprechende Gesetzesnorm breit formuliert sei und dadurch auch jene Fälle umfasst werden könnten, deren Sanktion bei Einführung der Norm noch nicht mitgedacht worden sind.¹⁴
Erwarten uns radikale Veränderungen?
Wenn in einer Gesellschaft eine Veränderung herbeigeführt wird oder werden soll, geht das nicht selten auf radikale Einstellungen zurück. Beispielsweise galten die Personen, die in Amerika vor 200 Jahren die Abschaffung der Sklaverei forderten, als Extremist:innen. Ebenso wurden vor 100 Jahren Unterstützer:innen des Frauenwahlrechts und noch bis vor Kurzem Befürworter:innen der gleichgeschlechtlichen Ehe als extremistisch eingestuft. Peter R. Neumann beschreibt, dass eine „Radikalisierung" auch eine notwendige Voraussetzung für eine positive gesellschaftliche Veränderung sein kann.¹⁵ Gipfelt der Diskurs allerdings - so wie im Jahr 2023 rund um das Thema der Klimaaktivist:innen - in gewaltvollen Ausschreitungen muss in einer demokratischen Gesellschaft eine klare Grenze gezogen werden, egal um welche Seite es sich handelt. Kommen Menschen durch Gewaltakte zu Schaden, liegt es an der Exekutive einzuschreiten und ist es Aufgabe der Justiz eine Aufarbeitung der Geschehnisse und somit ein geordnetes Zusammenleben zu gewährleisten. Diese Grenze ist auch bei menschenfeindlichen Beschimpfungen und Abwertungen mehr als überschritten, was eine strafrechtliche Sanktion gerade von online hemmungslos geäußertem Hass und Hetze erfordert. In einer Diskussion um eine lebenswerte nachhaltige Zukunft darf nicht auf unseren zwischenmenschlichen Umgang vergessen und den radikalsten Außenpositionen die größte Bühne überlassen werden. Vielmehr sind wir alle - und uns allen voran unsere Politik - gefordert, unsere Zukunft gemeinsam unter Achtung der Meinungsvielfalt und der Menschenrechte zu gestalten.
TIPP: Julia Ebner beschreibt in ihrem Buch Massenradikalisierung¹⁶ die weltweite systematische Vernetzung der klimaleugnenden Szene, gibt Einblicke in deren Strategien, Finanzierung und Argumentation, um dies ihren fundierten Recherchen gegenüberzustellen. Laut Ebner werden polarisierende Inhalte und Schlagworte aus Zeiten der Pandemie von Klimawandelleugner:innen angepasst und gezielt im Kontext der Klimakrise auf sozialen Netzwerken repliziert, beispielsweise unter dem Schlagwort „Klima-Lockdown". Außerdem erzählt sie von zielgerichteten Angriffen und Sabotageakten gegen Klimawissenschaftler:innen und Klimaaktivist:innen.
Literatur
Rechtsnormen
Bundesgesetz vom 23.01.1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch -StGB), BGBl 60/1974 idF 223/2022.
Europäische Menschenrechtskonvention, BGBl 210/1958 idF BGBl III 30/1998, Artikel 9 - Gedanken-, Gewissens und Religionsfreiheit.
Kommentare
Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 22 Rz 118.
Plöchl in Höpfel/Ratz, WK StGB2, § 283 StGB (Stand 01.02.2020).
Salimi, Die Verhetzung im Internet - § 283 StGB in der gerichtlichen Praxis, JBl 2019, 609.
Monographien
Julia Ebner, Massenradikalisierung Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt, Berlin 2023.
Peter R. Neumann, Der Terror ist unter uns, Berlin 2016.
Neumann, Die neue Weltunordnung Wie sich der Westen selbst zerstört, Berlin 2022, Kapitel 18 Klima-Notstand, 257.
Online-Quellen
https://ccca.ac.at/news/detail/ankuendigung-pressegespraech-am-kreisverkehr-1012023-800
https://ccca.ac.at/wissenstransfer/informationsdokumente/treibhausgasbudget-hintergrundpapier (abgerufen am 16.03.2023).
https://ccca.ac.at/wissenstransfer/presseaussendungen (abgerufen am 16.03.2023).
https://www.derstandard.at/story/2000141782007/klimaaktivismus-ist-die-letzte-generation-eine-kriminelle-vereinigung (abgerufen am 13.03.2023).
https://www.heute.at/s/wuetende-autofahrer-gehen-in-wien-auf-klima-kleber-los-100259978
https://www.profil.at/oesterreich/peter-neumann-natuerlich-gibt-es-hier-radikalisierungspotenzial/402213684 (abgerufen am 14.03.2023).
https://www.politik-lexikon.at/terrorismus/ (abgerufen am 20.12.2023).
https://www.rnd.de/politik/thomas-haldenwang-ist-die-letzte-generation-ein-fall-fuer-den-verfassungsschutz-PKZVJAW6ZFGZLDHKNJG5EZLN2U.html (abgerufen am 16.03.2023).
https://steiermark.orf.at/stories/3198427/ (abgerufen am 16.03.2023).
https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/1369118X.2020.1864005 (abgerufen am 16.03.2023).
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2168969-Ein-Fuenftel-befuerwortet-drastischen-Klimaaktivismus.html (abgerufen am 14.03.2023).
Judikatur
EGMR Urteil vom 16.05.1977, Arrowsmith vs United Kingdom AZ 7050/57.
Fußnoten
1 https://ccca.ac.at/wissenstransfer/presseaussendungen (abgerufen am 16.03.2023); https://ccca.ac.at/wissenstransfer/informationsdokumente/treibhausgasbudget-hintergrundpapier (abgerufen am 16.03.2023).
2 https://steiermark.orf.at/stories/3198427/ (abgerufen am 16.03.2023); https://ccca.ac.at/news/detail/ankuendigung-pressegespraech-am-kreisverkehr-1012023-800 (abgerufen am 16.03.2023).
3 Neumann, Die neue Weltunordnung Wie sich der Westen selbst zerstört, Berlin 2022, Kapitel 18 Klima-Notstand, 257.
4 Das lateinische Wort terror bedeutet auf Deutsch Schrecken oder Schreckensnachricht. Unter Terrorismus versteht man laut dem politik-lexikon.at die Androhung bzw. Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung bestimmter (z.B. politischer oder wirtschaftlicher) Ziele.Vgl https://www.politik-lexikon.at/terrorismus/ (abgerufen am 20.12.2023).
5 https://www.heute.at/s/wuetende-autofahrer-gehen-in-wien-auf-klima-kleber-los-100259978 (abgerufen am 16.03.2023).
6 Bundesgesetz vom 23.01.1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch -StGB), BGBl 60/1974 idF 223/2022.
7 Europäische Menschenrechtskonvention, BGBl 210/1958 idF BGBl III 30/1998, Artikel 9 - Gedanken-, Gewissens und Religionsfreiheit.
8 Vgl Höpfel/Ratz, § 283 StGB Rz 10 lit e.
9 EGMR Urteil vom 16.05.1977, Arrowsmith vs United Kingdom AZ 7050/57.
10 Vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 22 Rz 118.
11 Vgl Höpfel/Ratz, § 283 StGB Rz 10 lit e.
12 Vgl. Salimi, Die Verhetzung im Internet - § 283 StGB in der gerichtlichen Praxis, JBl 2019, 610.
13 https://www.profil.at/oesterreich/peter-neumann-natuerlich-gibt-es-hier-radikalisierungspotenzial/402213684 (abgerufen am 14.03.2023).
14 https://www.derstandard.at/story/2000141782007/klimaaktivismus-ist-die-letzte-generation-eine-kriminelle-vereinigung (abgerufen am 16.03.2023).
15 Vgl. Peter R. Neumann, Der Terror ist unter uns, Berlin 2016, Seite 29 f.
16 Vgl. Julia Ebner, Massenradikalisierung Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt, Berlin 2023, Kapitel 3 Unter Klimawandelleugnern, ab Seite 73.