Erste steirische Fachtagung zur Extremismusprävention: „Menschen zurück in die Gesellschaft holen“
Acht Expertinnen und Experten tauschten sich heute bei der ersten steirischen Fachtagung zur Extremismusprävention zum Thema Extremismus in der Gesellschaft aus und stellten mögliche Erfolgskonzepte vor.
Es war eine klare Botschaft, die die nationalen und internationalen Expertinnen und Experten bei der ersten steirischen „Fachtagung zur Extremismusprävention" einte und die gleich zum Beginn der heutigen Veranstaltung im Grazer „Krone Center" der belgische Bürgermeister Bart Somers auf den Punkt brachte: „Wer sich von einer Gesellschaft wertgeschätzt fühlt und stolz darauf ist, ein Teil davon zu sein, wird diese Gesellschaft nicht angreifen", sagte Mechelens Stadtchef, der 2016 für sein Integrationskonzept gegen Kriminalität und Terror zum „besten Bürgermeister der Welt" ausgezeichnet wurde. Zugeschaltet war Somers, der sich in Belgien gerade in Regierungsverhandlung befindet, via Videobotschaft.
Veranstaltet wurde die Fachtagung von der Extremismuspräventionsstelle „next - no to extremism", die vom Land Steiermark und von der Stadt Graz Ende 2018 ins Leben gerufen wurde. „Extremismus ist ein weltweites Phänomen und kann daher nicht losgelöst betrachtet und diskutiert werden. Die Verbindung internationaler, nationaler und regionaler Fachbeiträge bringt somit einen umfassenden Einblick in das Thema, von dem wir in der Steiermark profitieren können", sagte die Leiterin der Extremismuspräventionsstelle Daniela Grabovac, die die Fachtagung gemeinsam mit den politischen Initiatorinnen und Initiatoren eröffnete - und zwar mit der Landtagsabgeordneten Cornelia Schweiner in Vertretung der beiden steirischen Landesrätinnen Doris Kampus (Soziales und Integration) und Ursula Lackner (Bildung und Gesellschaft) sowie mit dem Grazer Stadtrat Kurt Hohensinner (Soziales, Bildung, Integration).
Insgesamt acht Expertinnen und Experten gaben bei der Fachtagung Einblick in ihre Arbeit rund um das Thema Extremismus und formulierten Möglichkeiten wie Extremismus in der Gesellschaft verhindert werden könne. „Es geht auch darum, alternative Beziehungsangebote zu setzen und Perspektiven abseits der extremistischen Gruppierung zu eröffnen", sagte etwa Verena Fabris, Leiterin der beim „Bundesweiten Netzwerk Offene Jugendarbeit" (bOJA) angesiedelten Beratungsstelle Extremismus.
Zu den weiteren Vortragenden zählten: Simone Philipp (Wissenschaftlerin, Trainerin der Menschenrechtsbildung am ETC Graz), Alexander Ritzmann (Mitglied des „Steering Committee" des Radicalization Awareness Network der Europäischen Kommission), Bernhard Weidinger (Politikwissenschaftler, Experte für Rechtsextremismus am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes), Thomas Mühlbacher (Leiter der Staatsanwaltschaft Graz, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der KFU Graz), Thomas Schmidinger (Politikwissenschaftler, Sozial- und Kulturanthropologe mit Schwerpunkt Kurdistan, Jihadismus, Naher Osten) und Fabian Reicher (Sozialarbeiter im Bereich der Ausstiegsarbeit für die Beratungsstelle Extremismus).
Grabovac: „Extremismus sowie Hasskriminalität und Hassrede sind in allen Segmenten unserer Gesellschaft wiederzufinden. Effektiv dagegen wirken können wir nur, wenn wir gemeinsam auftreten. Die Inhalte und Erkenntnisse der Fachtagung fließen nun in die weitere Arbeit der Extremismuspräventionsstelle ein." Um effektive Maßnahmen zur Prävention von Extremismus in der Steiermark einschätzen und Empfehlungen aussprechen zu können, wird als einer der nächsten Schritte ein Gremium einberufen, das aus Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen und Tätigkeitsfeldern bestehen soll - wie etwa Sicherheit, Strafvollzug, offene Jugend- und Sozialarbeit, Bildung, Religion, Community Work und Wissenschaft. Dieses Gremium wird in Folge die Empfehlungen und Maßnahmen zur Prävention von Extremismus in der Steiermark der Öffentlichkeit vorstellen.
Landesrätin Doris Kampus, Soziales und Integration: Angst zu schüren ist keine Lösung
„Extremismus stellt nach wie vor - auch in Österreich - eine ungebrochene Bedrohung für unseren gesellschaftlichen Frieden dar. Es ist in diesem Zusammenhang allerdings keine Lösung, Sündenböcke zu suchen und Ängste zu schüren, wie es manche Bewegungen oder gar Parteien tun. Denn Angst, das ist der Grund, warum sich viele Menschen überhaupt erst radikalisieren. Extremistische Ideologien greifen nämlich unerfüllte, grundlegende Bedürfnisse auf und spielen mit diesen. Bedürfnisse wie Sicherheit, Anerkennung, Orientierung und Identität. Denn Menschen, die sich radikalisieren, kommen häufig aus prekären sozialen Verhältnissen. Sie suchen nach Zugehörigkeit und oft fehlt ihnen eine Perspektive. Auf der Suche nach Halt, spricht Extremismus vor allem auch Jugendliche an. Das Internet tut dann das Übrige: Es vernetzt Menschen mit derselben Gesinnung und macht labile Personen zu einfachen Zielscheiben für Manipulation. Darum ist es wichtig, dass auch wir uns gut vernetzen. Zum Beispiel durch Fachkonferenzen wie diese. Wir müssen diese Menschen zurück in den Mittelpunkt holen, statt Angst vor ihnen zu haben - indem wir ihre Sorgen ernst nehmen, ihnen unsere Hände reichen und sie integrieren. Nur so geben wir Extremismus keine Chance."
Landesrätin Ursula Lackner, Bildung und Gesellschaft: Extremistischen Tendenzen mit Prävention die Stirn bieten
„Die jüngste Vergangenheit zeigt, dass wir Initiativen wie "next - no to extremism" dringender brauchen denn je. Denn Extremismus und antidemokratische Strömungen werden stärker. Ihren Ursprung hat diese Tendenz in der Verunsicherung, die aktuelle Vorgänge in der ganzen Welt in der Bevölkerung auslösen. Die daraus resultierende Angst nützen radikale Gruppierungen, um erst die Verunsicherung weiter zu schüren und dann vermeintlich einfache, aber häufig demokratiegefährdende Lösungen zu präsentieren. Es ist daher notwendig, ein starkes Netzwerk zu bilden, um Menschen Halt, Selbstwertgefühl und einen Sinn in ihrem Leben zu geben. Es gilt, mit präventiver Arbeit extremistischen Tendenzen die Stirn zu bieten. „next - no to extremism" geht diesen Weg, indem das Wissen, die Methoden und Erfahrungen aller relevanter Organisationen gebündelt und in konkrete Maßnahmen gegossen wird."
Stadtrat Kurt Hohensinner, Soziales, Bildung und Integration: Netzwerk gegen Extremismus stärken
„Extremismus, egal ob politisch oder religiös motiviert, ist leider ein brandaktuelles Thema unserer Zeit. Im Kampf gegen dieses Phänomen braucht es zwei Stoßrichtungen. Wir brauchen ein striktes Vorgehen der Bundesbehörden dort, wo Extremismus bereits manifestiert ist. Gleichzeitig müssen wir verstärkt in Präventionsarbeit investieren, damit wir extremistischen Tendenzen bereits frühzeitig den Nährboden entziehen. Als Stadt haben wir dazu wichtige Projekte auf den Weg gebracht, wie „Heroes" oder „Perspektivenwechsel", und mit der Beratungsstelle „next - no to extremism" haben zudem wir eine zentrale Anlaufstelle geschaffen. Die erste steirische Fachkonferenz zum Thema ist nun ein weiterer entscheidender Schritt um das Netzwerk gegen Extremismus weiter zu stärken und mit Expertenwissen weiter anzureichern. Was es heute mehr denn je braucht, ist eine klare Haltung und ein entschiedenes Vorgehen. Nur so können wir gemeinsam extremistischen Tendenzen Einhalt gebieten."
Bart Somers: Diversität als Bereicherung sehen
„Mit unserer Integrationspolitik in Mechelen wollen wir erreichen, dass sich niemand ausgeschlossen oder im Stich gelassen fühlt und Diversität nicht als Problem, sondern als Bereicherung wahrgenommen wird. Die Extremismusprävention ist mir dabei ein großes Anliegen. Zum einen ist es enorm wichtig, starke Netzwerke aufzubauen und das soziale Umfeld derjenigen zu mobilisieren, die möglicherweise auf den falschen Weg geraten sind. Zum anderen wollen wir sicherzustellen, dass unsere Gesetze und demokratischen Werte von allen respektiert werden. Wer sich von einer Gesellschaft wertgeschätzt fühlt und stolz darauf ist, ein Teil davon zu sein, wird diese Gesellschaft nicht angreifen."
Bart Somers ist Bürgermeister von Mechelen und Autor von „Zusammen leben: Meine Rezepte gegen Kriminalität und Terror"
Thomas Schmidinger: Verantwortung gegenüber den Kindern von TäterInnen
„Österreich hat eine Verantwortung für seine StaatsbürgerInnen und zwar auch dann wenn diese Verbrechen im Ausland begangen haben. Extremismusprävention bedeutet auch mit den TäterInnen, v.a. aber mit deren Kindern rechtsstaatlich umzugehen und sich nicht vor der Verantwortung zu drücken, indem man diese einfach in Syrien oder im Irak lässt. Dies bedeutet aber auch, dass man sich danach um die Kinder der TäterInnen kümmern muss, um die Entstehung von Heldenmythen ebenso zu verhindern wie eine Stigmatisierung dieser Kinder und damit eine Wiederholung der Geschichte in der nächsten Generation zu vermeiden."
Thomas Schmidinger ist Politikwissenschaftler, Sozial- und Kulturanthropologe mit Schwerpunkt Kurdistan, Jihadismus, Naher Osten
Verena Fabris: Alternative Beziehungsangebote setzen
„Extremistische Gruppierungen knüpfen an die Bedürfnisse von Jugendlichen an und instrumentalisieren sie für ihre Zwecke. In der Beratungsarbeit geht es darum, alternative Beziehungsangebote zu setzen und Perspektiven abseits der extremistischen Gruppierung zu eröffnen."
Verena Fabris ist Leiterin der beim Bundesweiten Netzwerk Offene Jugendarbeit (bOJA) angesiedelten Beratungsstelle Extremismus
Simone Philipp: Aufgabe ist es, Wissen zu bündeln
„Extremismusprävention ist auch in der Steiermark ein wichtiges Thema. Vor knapp einem Jahr wurde die Extremismuspräventionsstelle „next - no to extremism" ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe ist es, Wissen zu bündeln, Kooperationen zu ermöglichen und in der Extremismusprävention strategisch vorzugehen."
Simone Philipp ist Wissenschaftlerin unf Trainerin der Menschenrechtsbildung am ETC Graz