BanHate Statistik 2017 – 2023 zeigt: Soziale Medien als Brandbeschleuniger
mit Präsentation des next-Leitfadens „Radikalisierungssymbole online und offline: erkennen - erfassen - eingreifen"
Als Extremismuspräventionsstelle Steiermark verfolgen wir unmittelbar eine zunehmende Radikalisierung in den Meldungen über unsere BanHate-App (App zum Melden von Hasspostings): Speziell Bilder, Videos und Memes werden vermehrt eingesetzt, um zu emotionalisieren, aufzuregen und eine Meinungshoheit zu gewinnen. Diese probate Methode kommt wiederum besonders in Wahlkampfzeiten wie wir sie aktuell in den USA medial erleben, massiv zum Einsatz.
Multiple weltweite Krisen und deren tagtäglich spürbaren Auswirkungen lösen verstärkt emotionale Reaktionen wie Sorgen und Unsicherheit aus. Zusammenhänge scheinen immer komplexer, der tägliche Zeitdruck wird immer höher, in der Folge wird der Ruf nach einfachen Lösungen immer lauter. Doch genau diese vermeintlichen Lösungsangebote sind die gefährlichsten, denn sie basieren immer auf Ausschluss und Abwertung von Menschen bzw. ganzen Bevölkerungsgruppen. Extremistische Gruppierungen bedienen gezielt dieses Lösungsbedürfnis. Hass ist hier die markanteste Emotion. „Soziale Medien wirken gewissermaßen als Brandbeschleuniger in der Verbreitung von Hass und Hetze. Die Vervielfachung der in der BanHate-App gemeldeten Postings (4.417 Meldungen im Jahr 2023) zeigt, dass der Hass sich mittlerweile gegen mehrere Bevölkerungsgruppen wendet: Frauen, LGBTQIA+, Migrant:innen, Jüdinnen und Juden, Muslim:innen. Internationale Konflikte wie der Nahostkrieg geben ebenfalls Anlass zu Hass und Hetze in Österreich.", stellt Daniela Grabovac, Leiterin der Extremismuspräventionsstelle Steiermark, fest.
Eine digitale Radikalisierungsspirale wird in Gang gesetzt, die dazu führt, dass Radikalisierung kein Randphänomen mehr ist, sondern zunehmend normalisiert wird. In dieser Entwicklung liegt die größte Gefahr für ein sicheres, plurales und demokratisches Miteinander.
Für Extremist:innen ist die Verbreitung ihrer Botschaften über diverse online Plattformen eine wirksame Rekrutierungsstrategie, dabei dienen ihnen Codes und Symbole als geheime Zeichen und Botschaft der Gleichgesinnung. So schaffen sie starke emotionale Verbindungen und damit weitreichende Möglichkeiten ideologischer Beeinflussung und Manipulation.
ao. Univ.-Prof. Dr. Katharina Scherke (Soziologin und next-Expertin für Antifeminismus und Queerfeindlichkeit):
„Hass hat trennende Funktionen im Sozialen, d.h. er markiert in extremer Weise Grenzen zwischen der eigenen Gruppe und einer anderen Gruppe. Hass hat dabei zugleich aber auch verbindende Funktionen für diejenigen, die sich in ihrem Hass vereint sehen und sich gegenseitig darin bestärken."
Die BanHate-App verzeichnet seit ihrem Start im Jahr 2017 bis zum Ende des Jahres 2023 18.583 anonyme Meldungen von Hassinhalten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Die häufigsten Strafrechtsverstöße, die über die Jahre immer wieder in der BanHate-App ans Licht kommen, sind der Straftatbestand der Verhetzung (§ 283 StGB) und Verbotsgesetzverstöße (§§ 3g, 3h VerbotsG).
Unter den 4.417 Meldungen aus dem Jahr 2023 finden sich neben antisemitischen, queerfeindlichen und anderen menschenverachtenden Postings auch extremistische Symbole und Kodierungen.
„Codes und Symboliken werden immer häufiger als verschlüsselte Botschaften und Erkennungs-zeichen für extremistische Gruppierungen platziert und sollen die propagierte Weltanschauung mittransportieren", erläutert Mag. Daniela Grabovac, Leiterin der Extremismuspräventionsstelle Steiermark. „Im beruflichen und privaten Umfeld fallen diese Symbole auf, jedoch fehlt das Wissen darüber."
So wurde bereits ein Jahr vor der Aufregung um den Wolfsgruß des türkischen Spielers Merih Demiral im EM-Achtelfinale der Gruß der „grauen Wölfe" vermehrt über die BanHate-App gemeldet. Ebenso wird alljährlich wiederkehrend die rechtsextreme Kodierung der Eiernockerl mit grünem Salat, die nach wie vor am 20. April „zu Ehren" Adolf Hitlers gepostet, geteilt und geliked. Weiters wurden diverse Beschmierungen wie ACAB - insbesondere vor, während und nach Fußballspielen - mit dem Symbol der Ustascha dokumentiert, ebenso das Teilen der Zeigefingergeste als Code des IS. Dieses ist nach dem Symbole-Gesetz verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert.
Klares Ziel ist, die Ausbreitung von extremistischen Netzwerken in der Mitte unserer Gesellschaft einzudämmen und ein Bewusstsein für zivilcouragierte Gegenmaßnahmen und Handlungsmöglichkeiten zu schaffen.
Eine gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung und ein entschiedenes Auftreten gegen extremistische Verhaltensweisen und Identifizierungszeichen erfordert zunächst Wissen und Fähigkeit, derart demokratiefeindliches Gedankengut zu erkennen und einzuordnen. Der heute präsentierte next-Leitfaden „Radikalisierungssymbole online und offline" zeigt eine Vielzahl an extremistischen und (verwaltungs)strafrechtswidrigen Inhalten, die eine antidemokratische Entwicklung in unserer Gesellschaft beschleunigen können. Er bietet sowohl Informationen zur geschichtlichen Herleitung der Kodierungen sowie konkrete Handlungsmöglichkeiten, wie von jeder*m Einzelnen gegen extremistische Inhalte vorgegangen werden.
Jahr | BanHate-Meldungen | wird verfolgt* | wird nicht verfolgt** |
2023 | 4.417 | 1.689 | 2.728 |
2022 | 2.632 | 1.627 | 1.005 |
2021 | 2.817 | 1.589 | 1.228 |
2020 | 3.215 | 1.750 | 1.465 |
2019 | 1.826 | 800 | 1.026 |
2018 | 1.960 | 1.050 | 910 |
2017 | 1.716 | 910 | 803 |
2017-2023 | 18.583 |
*wird verfolgt entspricht der Erstattung einer Anzeige und/oder der Beantragung einer Löschung des Beitrages in den sozialen Netzwerken. **wird nicht verfolgt entspricht strafrechtlich nicht relevanten oder bereits gelöschter Inhalt |
Statements aus der Politik:
Doris Kampus, Landesrätin für Soziales, Arbeit und Integration:
„Es ist leider nicht zu bestreiten, dass die Radikalisierung in unserer Gesellschaft zunimmt. Ablesen lässt sich diese bedenkliche Entwicklung auch an der Zahl von radikalen Symbolen, die online, aber auch offline, immer wieder verwendet werden. Es ist die Aufgabe verantwortungsvoller Politik, diesen Tendenzen mit Information entgegenzutreten und auf diese Weise vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, entsprechende Symbole zu erkennen, sie richtig einzuordnen und gegen ihre Verwendung und Verbreitung auftreten zu können. Die Antidiskriminierungsstelle Steiermark schafft, gemeinsam mit der Extremismuspräventionsstelle Steiermark „Next - no to extremism", mit diesem Leitfaden nicht nur eine umfassende theoretische Übersicht radikaler Symbole der verschiedensten politischen und religiösen Extreme, sondern gibt damit auch den Steirerinnen und Steirern im Alltag die Möglichkeit, Hass und Radikalisierungen erkennen und sich klar gegen diese positionieren zu können."
Simone Schmiedtbauer, Landesrätin für Jugend, Familie und Gleichstellung:
„Hass hat in der Steiermark ganz sicher keinen Platz - weder im täglichen Leben noch Online. Wir wollen den Zusammenhalt in der Gesellschaft in den Mittelpunkt stellen und Extremen von allen Seiten entschlossen entgegentreten. Die Antidiskriminierungsstelle leistet dafür wertvolle Arbeit. Besonders mit der BanHate-App haben wir ein international beachtetes, einzigartiges Pilotprojekt, bei dem Steirerinnen und Steirer ganz einfach via App gegen die Verbreitung von extremistischen Botschaften vorgehen können. In Zeiten, wo Antisemitismus und andere menschenverachtende Ideologien sich rasant über die ‚Sozialen‘ Medien verbreiten, leistet diese Initiative einen wichtigen Beitrag gegen radikale Strömungen."
Statements der next-Expert:innen:
Katharina Scherke, next-Expertin für Antifeminismus, Professorin für Soziologie:
„Hass hat trennende Funktionen im Sozialen, d.h. er markiert in extremer Weise Grenzen zwischen der eigenen Gruppe und einer anderen Gruppe. Hass hat dabei zugleich aber auch verbindende Funktionen für diejenigen, die sich in ihrem Hass vereint sehen und sich gegenseitig darin bestärken."
Helmut Konrad, next-Experte für Antisemitismus, Professor für Geschichte, Rektor der Karl-Franzens-Universität a.D.)
"Selbst gute Kenner von Geschichte und Politik sind selten in der Lage, alle politisch aufgeladenen Codes und/ Symbole zu entschlüsseln. Der neue Leitfaden sollte eine verlässliche Hilfestellung sein: Für Laien, um nicht einfach ein Symbol „schick" zu finden und für jene, die gegen den Extremismus beruflich oder privat auftreten, zur wissenschaftlichen Absicherung."
Heinz P. Wassermann, next-Experte für Linksextremismus, Professor für Journalismus und Public Relations an der FH Joanneum:
„Linksextremismus ist vor allem als (gelegentlich strafrechtlich relevante) sichtbare und codierte Markierung im öffentlichen Raum nachzuweisen, deren Decodierung einiges an Insiderwissen bedarf. Hier nicht erfasst, aber als Beobachtungsgegenstand möglicherweise von Relevanz, ist eine Querfrontbildung zwischen muslimischen und (als Antizionismus schlecht getarnten) linken Protest-Antisemitismus im Gefolge des Massakers, der Hammas am 7. Oktober 2023, der dem Muster einer klassischen Täter-Opfer-Umkehr folgt."
Dieter A. Binder, next-Experte für Rechtsextremismus, Professor für Geschichte:
„Sprachliche und bildliche Kodierungen extremistischer Aussagen werden immer komplexer und sind häufig nur durch den Kontext zu erschließen. So kann aus dem Wolfskopf im Schattenspiel ein rassistisches Statement, aus einer vegetarischen Speise ein Bekenntnis zum NS-Gedankengut werden."
Karl Prenner, next-Experte für Islamismus und religiösen Extremismus, Professor für Religionswissenschaften:
„Religion und Glaube wird hier auf weite Strecken zur Durchsetzung eigener Macht- und Geltungsansprüche instrumentalisiert, sodass der religiöse Extremismus immer eine politische Komponente hat, die sich gegen die Moderne richtet, gegen die vielfältigen Säkularisierungsprozesse, gegen demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse."
https://www.no-extremism.at/news/leitfaden-radikalisierungssymbole-online-und-offline